Tunesien: Angespannte Ruhe

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Nicht einmal mehr 2.000 Juden leben in Tunesien. Die nächsten Wahlen werden zeigen, wie es im Land weitergeht. Text & Fotos: Alexia Weiss   

Die amtierende Tourismusministerin Amel Karboul ist um ein Klima der Toleranz und des friedlich gelebten Miteinanders der verschiedenen Religionen bemüht. Anlässlich der alljährlichen Wallfahrt zur Synagoge La Ghriba auf der Insel Djerba zu Lag Baomer lud sie dieses Jahr internationale Presse und verwies in einer emotionalen Rede auf das Vorbild der „Convivencia“ in Spanien zwischen 711 und 1492. Karboul betonte dabei: „Heute vereint Tunesien alle Religionen und duldet alle Ideologien. Wir wollen eine neue Convivencia leben.“

Bis heute gibt es keine diplomatischen Beziehungen mit Israel, und die antiisraelische Stimmung hält an.

Die örtliche jüdische Community – auf Djerba leben 1.200 der geschätzten noch an die 1.700 tunesischen Juden – zeigte sich denn auch dankbar für den Schutz, den die Exekutive während der „Pèlerinage“ bot: Die Straße zur Synagoge, die im Dorf Er-Riadh, einige Kilometer entfernt von Houmt Souk, dem Hauptort auf Djerba, liegt, war von schwer bewaffneten Polizisten gesäumt und der Zugang nur nach Passieren einer Sicherheitsschleuse möglich. Über der Karawanserei, in der das Gros der Festlichkeiten zelebriert wurde, kreiste ein Hubschrauber. „Es geht uns gut, jetzt“, unterstrich Victor Trabelsi, der Sohn des Präsidenten der Synagoge, Perez Trabelsi. Der Vater spricht kein Französisch, nur Arabisch, so springt der Sohn ein, wenn es um Interviews mit den zahlreich angereisten Journalisten geht.

Gedenktafel

Dennoch: Die Gemeinde hat bewegte Jahre hinter sich. 2002 sprengte sich hier vor der Sy-nagoge La Ghriba der Selbstmordattentäter Nizar Ben Mohammed Nawar mitsamt einem mit 5.000 Litern Flüssiggas beladenen Kleinlaster in die Luft. Es war der erste Anschlag in dieser Größenordnung seit dem 11. September 2001, und dahinter stand Al Kaida. „Zum Gedenken an die Opfer des Terroranschlags vom 11. April 2002 – sie bleiben für immer in unserem Herzen“, kann man daher heute auf einer Gedenktafel lesen. Die Inschrift wurde nicht nur auf Arabisch und Französisch, sondern auch auf Deutsch angebracht. Von den 21 Menschen, die dieses Attentat nicht überlebten, kamen 14 aus Deutschland. La Ghriba, die älteste Synagoge Nordafrikas, gilt seit jeher als beliebtes Touristenziel.

2002 markierte eine Zäsur. Zuvor waren immer an die 10.000 Menschen aus aller Welt, darunter viele Juden tunesischer Herkunft aus Frankreich und Israel angereist, erzählt eine ältere Dame, die jedes Jahr mit ihrem Mann von Karthago nach Djerba fliegt. Nun kämen nur mehr die tunesischen Juden und ein paar nichtjüdische Touristen, meint sie. „Das ist traurig.“ Rund 2.000 Besucher zählte man dieses Jahr – darunter auch dutzende Journalisten, Fotografen und Kamerateams.

tun3Victor Trabelsi ist aber bemüht zu betonen, auch 2002 habe man die Wallfahrt abgehalten, damals aber nur mit wenigen hundert Menschen. Ausgefallen ist die „Pèlerinage“, bei der Frauen Eier mit Wünschen beschriften und in einer Nische unter dem Toraschrein platzieren und die goldfarbene Menara, eine Art Kultobjekt, das eine Braut, die auf einen Bräutigam wartet, symbolisiert, mit Tüchern und Blumen geschmückt auf einem Handkarren ein Stück aus der Synagoge in Richtung des nächsten Dorfes gefahren wird, allerdings im Jahr der Revolution 2011, die mit der Selbstanzündung eines jungen Mannes Ende 2010 begonnen hatte, dessen Obst- und Gemüsestand von der Polizei konfisziert worden war. Damals seien Menschen zu Tode gekommen, man wusste nicht, wie es politisch weiterging, daher habe man verzichtet, die Wallfahrt, die es seit etwa 1930 gibt, abzuhalten.

Tatsächlich errang bei den ersten freien Wahlen eine islamistische Gruppierung (Ennahda) die Mehrheit. Als 2013 ein linker Oppositionspolitiker ermordet wurde, führte das erneut zu Massenprotesten. Nun ist ein Expertenkabinett an der Regierung, dem eben auch die Unternehmensberaterin Karboul angehört. Keiner dieser Experten darf allerdings im künftigen Kabinett vertreten sein. Die nächsten Wahlen werden für Ende des Jahres erwartet – Ausgang ungewiss. In der neuen Verfassung wurde dieses Frühjahr jedenfalls sowohl die Gleichstellung von Mann und Frau als auch Religionsfreiheit verankert.

Wie es für die sehr traditionelle jüdische Gemeinde hier weitergeht, bleibt also abzuwarten. Die größte Auswanderungswelle zog der Sechs-Tage-Krieg 1967 mit sich – 1958 hatten noch 85.000 Juden in Tunesien gelebt. Bis heute gibt es keine diplomatischen Beziehungen mit Israel, und die antiisraelische Stimmung hält an. Das musste auch Karboul bei ihrem Amtsantritt spüren. Es war publik geworden, dass die Neoministerin in der Vergangenheit einmal nach Israel eingereist war.

Kein Enreiseverbot

Dieses Frühjahr machte wiederum in Israel ein Vorfall Schlagzeilen, bei dem israelischen Kreuzfahrtpassagieren das Betreten des Landes in einem Hafen nahe Tunis verboten worden war. Hier kalmierte die Ministerin aber sofort: Die Betroffenen hätten nicht über die nötigen Visa verfügt. Es gebe natürlich kein Einreiseverbot für Israelis, wie es Usus in manchen arabischen Staaten ist. Vielleicht war es ihr auch deshalb ein Anliegen, zu Lag Baomer das gute Miteinander auf Djerba vorzuführen. Vielleicht haben auch deshalb die Juden von Djerba die Straße vor der Synagoge mit hunderten kleinen tunesischen Flaggen geschmückt. Eine israelische Flagge bekommt man hier nicht zu Gesicht. ◗

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