„Es ist jeden Abend ein Wunder“

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Anita Ammersfeld

Wie beglückend und gleichzeitig schwierig es ist, das stadtTheater walfischgasse zu führen, erzählt die Theaterprinzipalin.

Von Marta S. Halpert

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wina: Mit Beginn der Herbstsaison 2012 geht das stadtTheater walfischgasse in sein achtes Jahr. Wie sieht Ihre Bilanz derzeit aus, was waren die größten Erfolge, was die schlimmsten Enttäuschungen?

Anita Ammersfeld: Das ist schwer zu sagen, denn die ganze Geschichte des stadtTheaters ist eine Erfolgsstory. Anfangs war mir nicht ganz klar, wohin uns der Weg führen soll. Denn ich habe nur den dringenden Wunsch und auch die Vision gehabt, einfach tolles Theater machen zu wollen. Ich hatte zwar meine Erfahrungen als Künstlerin auf der Bühne und als Produzentin, aber als Leiterin eines Theaters war ich quasi ein Neuling. Doch offensichtlich bin ich das Projekt derart lustvoll angegangen, dass sich das auf alles positiv übertragen hat. Es ist wirklich eine Erfolgsgeschichte geworden, über die ich sehr glücklich bin, weil das mein Leben in jeder Hinsich ausfüllt.

wina: Gab es denn überhaupt keinen Gegenwind aus der Theaterbranche?

AA: Aber natürlich hörte man auch zweifelnde Stimmen innerhalb der Branche, ob uns denn das Experiment überhaupt gelingen könnte. Bei dem großen Angebot, das Wien als Kulturstadt bietet, ist das klar. Denn wir konkurrieren täglich mit mehr als 45 verschiedenen Produktionen. Daher war es, rückblickend betrachtet, ein mutiger Schritt, mit dem Stück „Freunde, das Leben ist lebenswert“ von Charles Lewinsky das Theater zu eröffnen. Das war ein Paukenschlag, verbunden mit großem Risiko. Aber ich habe das Stück für packend gut gehalten, und inhaltlich war es mir ein echtes Anliegen.

„Wenn Dinge von anderer Seite nicht ernstgenommen werden, will ich umso mehr beweisen, dass es funktioniert.“

wina: Es geht dabei um das Schicksal von drei berühmten österreichisch-jüdischen Künstlern, die nach Dachau deportiert werden. Schwere Kost für einen Einstieg in die Wiener Theaterszene?

AA: Wenn ich schon ein eigenes Theater leite, dann habe ich es als Verpflichtung empfunden, gerade mit so einem Stück einzusteigen – noch dazu war die Premie­re am 20. April, also „Führers Geburtstag“. Persönlich nehme ich jeden Widerstand als Herausforderung an. Wenn Dinge, die ich mit Begeisterung angehe, von anderer Seite nicht ernstgenommen werden, will ich umso mehr beweisen, dass es funktioniert. Natürlich kann man sich irren, aber ich habe mich nicht geirrt.

wina: Was unterscheidet Ihr Haus von anderen Mittelbühnen?

AA: Vor allem der gut durchmischte Spielplan, den wir bieten, das ständig wechselnde Programm. Das macht uns auch in der Kulturszene schon fast einzigartig. Wir bauen täglich auf und ab: Die großen Eigenproduktionen wie auch die Gastspiele sind eine logistische Herausforderung, denn wir haben keine große Bühnentechnik, spielen aber an bis zu 240 Abenden im Jahr und präsentieren an die 40 Produktionen.

wina: Was unterscheidet eine jüdische Theaterprinzipalin von einer nichtjüdischen?

AA: Ich glaube, dass der Unterschied gar nicht so sehr darin liegt, wie ich den Spielplan gestalte, denn es ist nicht schwer, immer wieder jüdische Themen in den Spielplan einfließen zu lassen. Das macht das Burgtheater ebenso wie die Josefstadt oder die Festspiele Reichenau. Sie bringen genau so jüdische Autoren. Das hat damit zu tun, dass es diese großartigen jüdischen Autoren gibt, wie Arthur Schnitzler, Stefan Zweig und viele andere. Deshalb würde man auch das Burgtheater nicht als jüdisches Theater bezeichnen. Und so gesehen würde ich auch das stadtTheater walfischgasse nicht als jüdisches Theater bezeichnen. Allerdings liegt der Unterschied schon darin, dass es mich wegen meiner jüdischen Wurzeln förmlich zu der jüdischen Thematik hinzieht. Ich muss mich schon oft zügeln, dass der Spielplan nicht zu viel thematisches Schwergewicht bekommt. Das wäre nicht sinnvoll.

wina: Es ist Ihnen gelungen, sowohl berühmte Autoren wie Joshua Sobol, Charles Lewinsky, Peter Turrini, Felix Mitterer oder Paul Schrader zu engagieren wie auch begehrte Burg-Schauspieler, etwa Karlheinz Hackl oder Cornelius Obonya. Wie machen Sie das?

AA: Ich peile die Künstler schon sehr zielstrebig an. Es gibt hochkarätige Schauspieler, die gerade ihren festen Vertrag an einer Bühne gelöst haben, das sind dann die Glücksfälle für uns. Aber die Termine müssen passen, weil unsere Produktionen mindestens fünf Wochen geprobt und dann auch sechs Wochen gespielt werden. Da bindet sich ein Künstler länger an das Haus, weil wir keinen Ensuite-Betrieb haben. Deshalb muss auch die Gage stimmen. Ich bin sicher jemand, der gute Gagen zahlt und auch zahlen will. Das steht jedem, der diesen Beruf ausübt, zu. Wichtig ist mir das gute persönliche Verhältnis zu den Künstlern: Es braucht beides, ihre Disziplin und Verlässlichkeit und meinerseits die Hartnäckigkeit. Da unser Haus zunehmend an gutem Ruf gewinnt, ist es für jeden freien und bekannten Schauspieler wahrlich keine Schande, am stadtTheater walfischgasse zu spielen.

„Wichtig ist mir das gute persönliche Verhältnis zu den Künstlern.“

wina: Wer sind die Besucher Ihres Thea­ters?

AA: Insgesamt haben wir ein urbanes, weltoffenes und auch kritisches Publikum, das sich in erster Linie auf hohem Niveau unterhalten möchte. Dieses Ziel verfolge ich mit dem Spielplan konsequent: Egal ob mit Schauspiel, Beziehungskomödie, Drama oder Komödie, das künstlerische Niveau ist mir das Wichtigste. Wir haben ein treues Stammpublikum und viele neue Abonnenten. Durch das Wahlabosystem bekommen sie ein gut durchmischtes Programm vorgesetzt. Daher nehmen sie eine österreichische Uraufführung ebenso gut an wie ein ihnen vertrautes Stück oder einen beliebten Künstler.

wina: Welche Pläne hat das stadtTheater in seiner achten Saison?

AA: Ab 17. Oktober bringen wir ein Gastspiel der Komödienspiele Porcia, und zwar Yasmina Rezas Erfolgsstück Der Gott des Gemetzels in der Regie von Werner Schneyder. Da spielt Oliver Baier jene Figur, die in der Verfilmung von Christoph Waltz verkörpert wurde. Auf die kommende Eigenproduktion und österreichische Uraufführung ab 7. November freue ich mich ganz besonders, da kommen zwei große Schauspielerinnen zum Zug: Elfriede Irrall und Julia Gschnitzer
 spielen in Lotti und Lilya, einer Tragikomödie von Katrin Ammon. In einem Café am Wolfgangsee begegnen ei­nander zufällig die beiden Lebenspartnerinnen desselben längst verstorbenen Mannes: seine jüdische Ehefrau und seine katholische Geliebte. Sie haben nie etwas voneinander gewusst …

wina: Was erträumen Sie sich noch für Ihr Theater?

AA: Ich habe eigentlich fast keine Wünsche offen, außer dass uns die Bewegungsfreiheit bleibt, damit wir noch mehr selbst produzieren können. Ich stehe immer noch täglich staunend da, wenn der Vorhang hoch geht, und denke mir: „Es ist ein Wunder!“

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